Die Rauhnächte

Der Name „rau“ – für die Rau(h)nächte – leitet sich nicht vom Adjektiv rau (uneben) ab und auch nicht von Rauch. Vielmehr geht die Bezeichnung auf das mittelhochdeutsche Wort rûch (haarig) zurück und ist in der Kürschnerei als Rauware für Tierfell noch in Verwendung. Die Nächte stehen in enger Verbindung mit Ritualen rund um das Nutzvieh, aber auch Verwandlungen zwischen Tieren und Menschen oder haarigen mythischen Wesen.
Man vermutet, dass der Brauch seinen Ursprung in der Zeitrechnung nach einem Mondjahr, das nur 354 Tage umfasst, hat. Um auf die 365 Tage des Sonnenjahres zu kommen, wurden einfach 11 Tage und 12 Nächte bzw. 12 Tage und 13 Nächte als tote Tage (das sind Tage außerhalb der Zeit) eingeschoben.

Die Rauhnächte oder Unternächte sind die Nächte vom St. Thomasabend (21. Dezember) bis Heiligendreikönig, nach anderen vom Christabend bis Heiligendreikönig. An den Vorabenden des St. Thomastages, des Christfestes, des Neujahrstages und des Dreikönigfestes ( 20., 24., 31. Dezember, 5. Jänner) rauchte (räucherte) man alle Räume des Hauses mit Weihrauch und besprengte sie mit Weihwasser, um sie zu segnen und dadurch die Hexen und bösen Geister zu vertreiben, denn die Unternächte sind die Zeit, in welcher die Geister ungescheut umgehen und ihr Wesen treiben.

Bei unseren Vorfahren waren die Raunächte heilige Nächte. In ihnen wurde möglichst nicht gearbeitet, sondern nur gefeiert, wahrgenommen und in der Familie gelebt.

Als Raunächte bezeichnet man die Nächte zwischen dem 21. Dezember und dem 6. Januar. Sie gingen immer von Nacht zu Nacht. „Nacht“ deswegen, weil wir uns nach dem keltischen Jahreskreis in der Jahresnacht befinden. Somit ist der ganze Tag „Nacht“. Es gibt regionale Unterschiede in Bezug auf den Beginn der Rauhnächte. Vielerorts wird der 21. Dezember (die Thomasnacht) nicht als Beginn der Rauhnächte gesehen. Jedoch findet am 21. Dezember eben dieser wichtige Umschaltpunkt im kosmischen Erdenjahr statt. Das natürliche Jahr beginnt zur Wintersonnenwende (nach dem keltischen Lebenskreis), die längste Nacht und der kürzeste Tag sind durchlebt. Jetzt steigt die Sonne wieder nach oben – der Tiefpunkt der Sonnenbahn ist erreicht. Die Kräfte des Lichts haben wieder einmal gesiegt, sie werden langsam wieder stärker und die Tage werden länger.

Vor allem vier Rauhnächte sind von besonderer Bedeutung, wobei – einem alten Sprichwort gemäß – davon zwei „feiste“ (24.12. und 5.1.) und zwei „magere“ (21.12. und 31.12.) sind.
Die Nacht vom 5./6. Jänner ist die „Perchten-Nacht“.
Diese oben genannten Rauhnächte galten mancherorts als derart „gefährlich“, dass sie mit Fasten und Beten begangen wurden, um keinen Schaden zu erleiden.

Jede der 12 bzw. 13 Raunächte wurde von unseren Vorfahren für einen Monat des Jahres zum Deuten und Orakeln (auch der Brauch des Bleigießens ist ein Überbleibsel der vielfältigen Raunachtorakel) benutzt. Daher wurden diese Nächte auch „Losnächte“ genannt.

Somit steht die erste Raunacht für den Jänner, die zweite Raunacht für den Februar usw. Es wurde alles beobachtet: wie war das Wetter, hat das Essen geschmeckt, wurde gestritten usw. Auch das noch so Unwichtige, hatte eine Bedeutung. Darum wurden die Raunächte vorsichtig und wachsam begangen, da sie das ganze kommende Jahr in sich bargen und jeder selber dafür verantwortlich war, wie er die Weichen stellte.

Eine andere Tradition ist es, in den ersten sechs Nächten das alte Jahr noch einmal gedanklich zu durchwandern, es zu ordnen, überdenken und abzuschließen. Während der Räucherung der letzten sechs Nächte können wir uns auf das kommende Jahr positiv einstellen. Wir können Wünsche, Visionen und Bilder, die mit dem neuen Jahr in Verbindung stehen, hochkommen lassen, während wir durch die Räume gehen oder vor der Räucherschale sitzen.

In den ländlichen Gegenden – vor allem in den katholisch beherrschten – kennt man die zwölf Lostage zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag. In diesen zwölf Rauhnächten werden noch immer Haus und Stall ausgeräuchert.

Wenn die kleine Prozession von ihrem Rundgange in die Stube zurückgekehrt ist, knien alle nieder und beten, worauf die Männer ihre Mützen, die Weiber ihre Kopftücher über den Rauchtopf halten und dann rasch das Haupt bedecken: Das gilt als Mittel gegen Kopfleiden. Nun ist alles im Hause geweiht ( gesegnet), selbst der Kehrricht. Dieser darf daher diesmal nicht weggeworfen werden. Man streut ihn auf das Kornfeld, um es vor Schauer zu bewahren. Ich habe bei einem Besuch in Osttirol auf einem alten Bauernhof gesehen, wie man es seit undenklichen Zeiten praktiziert hat: In eine Eisenpfanne wird ein gut getrockneter Zunderpilz (ein getrockneter Baumschwamm, der auf Rotbuchen und Birken wächst) gegeben. Dieser Zunderpilz glüht lange, ohne Funken zu versprühen. (Wir kennen doch alle den Begriff „das brennt wie Zunder“?) Auf die Glut streut man nun das Räucherwerk und damit geht man durch Haus und Stall. Um die Wirkung zu steigern, sprach man in früheren Zeiten dazu besondere Gebete.

Die verwendete Räuchermischung ist jedenfalls stark reinigend. Weihrauch, Wacholder, Tanne, Fichte und Lärche werden noch immer zum Räuchern verwendet.

Wenn man sich auf die Spuren der Räucherkultur in Nordeuropa begibt, so stößt man auch unweigerlich auf die Kelten. Sie kannten bereits das Weihrauch-Harz, ebenso wie die Myrrhe. Warum? Sie kamen im Gefolge von Alexander dem Großen bereits bis nach Persien und brachten diese Harze von dort mit.
Die Kelten hatten bereits den Brauch, zur Zeit der Wintersonnenwende zu räuchern und damit einen Reinigungsprozess durchzuführen. Zu dieser Zeit war die Wintersonnenwende auch der Beginn des neuen Jahres. Die Kelten fasteten zu dieser Zeit nach altem Brauch 12 Tage und 12 Nächte lang – eben die Zeit der Rauhnächte. Träume galten als besonders bedeutungsvoll und so entstanden auch die Geschichten um die Lostage dieses Zeitraums, wo alles, was wir im Traum sehen können, uns die Zukunft bedeutet.

In den Rauhnächten wird aber auch oft mit den im Sommer gesammelten Kräutern geräuchert (denken wir nur an den Johannisbuschen oder den Lieb-Frauen-Tag-Buschen). Von diesem Heilkräuterbuschen werden einige Spitzen abgezupft und zur Räuchermischung dazugegeben. Dadurch wird eine besonders kräftige Heilwirkung erzielt.

Nach der Keltenzeit lebten die Bräuche weiter, durch die Hand der Weisen Frauen, bis ins frühe Mittelalter. Leider wurden durch die Inquisition nicht nur die Hexen verbrannt sondern es verschwand auch viel vom alten Wissen, weil es nicht mehr von Generation zu Generation weitergegeben werden konnte.

In den Rauhnächten können mutige Leute durch Losen (oder Lisna, Lismen) die Schicksale des nächsten Jahres erkunden. Man lost auf Kreuzungen, Friedhöfen, an Bächen, unter Schwarzkirsch, Kriecherl-, Weichsel- Zwetschkenbäumen und in der Weihnacht auch an Stalltüren.